Krebsforschung auf drei Säulen
Im Verlaufe der vergangenen Jahre hat das Frankfurter Institut für Klinische Krebsforschung /IKF) erfolgreich über 90 Studien durchgeführt. Jährlich schließt es etwa 1.500 Patienten in klinische Studien ein. |transkript sprach mit dem IKF-Gründer und -Direktor Prof. Dr. med. Salah-Eddin Al-Batran.
transkript. Deutschland gerät in der Summe der durchgeführten klinischen Studien im Vergleich mit europäischen Nachbarn ins Hintertreffen. Was macht das IKF anders?
Al-Batran. Das IKF ist ein klinisches Krebsforschungsinstitut, eingebettet in der akademischen Gemeinschaft mit engen Kooperationen mit führenden universitären Kliniken in Europa und weltweit. Gleichzeitig operiert das IKF als eigenständiges Institut der freien Marktwirtschaft, was die Zusammenarbeit mit der Industrie deutlich erleichtert. Das Besondere am IKF ist seine einzigartige Positionierung zwischen der akademischen Welt und der pharmazeutischen Industrie. Es strebt danach, diese beiden Welten, die oft sehr unterschiedlich denken und handeln, zusammenzubringen, um fruchtbare Synergien zu schaffen und innovative Forschungsprojekte durchzuführen, die den Zielen beider Seiten dienen. Man könnte das IKF metaphorisch als einen Adapter betrachten, der dazu dient, diese beiden Welten zu verbinden. Das Hauptprodukt des IKF ist der Erkenntnisgewinn, der aus diesen einzigartigen Verbindungen entsteht.
transkript. Können Sie die Adapterfunktion bitte näher erläutern?
Al-Batran. Das IKF steht auf drei Säulen. Die erste der drei Säulen ist die Rolle des Studiensponsors nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) beziehungsweise der Europäischen Verordnung über klinische Prüfungen (EU CTR). In etwa 50% seiner klinischen Studien agiert das IKF als Sponsor. Diese Funktion ist von entscheidender Bedeutung für unsere eigenen Studien. Darüber hinaus übernimmt das IKF häufig die Sponsorenrolle bei sogenannten kollaborativen Studien mit der Pharmaindustrie oder in Zusammenarbeit mit kleineren Biotech-Unternehmen, die nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen, um den inzwischen sehr komplexen Anforderungen gerecht zu werden, die an einen Sponsor gestellt werden.
Die zweite Säule des IKF ist die Full-Service-CRO-Abteilung. Diese Abteilung übernimmt nicht nur die prozessuale Durchführung der IKF-eigenen Studien, sondern fungiert auch als Auftragsforschungsinstitut für Studien, die von akademischen Sponsoren oder wissenschaftsgetriebenen Biotech-Firmen in Auftrag gegeben werden. Die IKF-CRO deckt sämtliche erforderliche Prozesse der Studienplanung und Durchführung nach den Standards der FDA und EMA ab.
Die dritte und letzte Säule des IKF ist die hochspezialisierte Studienambulanz und Phase-1-Unit, die durch eine Kooperation mit dem Krankenhaus Nordwest des University Cancer Center (UCT) Frankfurt entstanden sind. Diese Einheit fungiert unabhängig von der Sponsor- und CRO-Funktion und dient dem IKF als rekrutierungsstarkes und hochqualifiziertes Studienzentrum. Partner, die mit uns zusammenarbeiten, profitieren erheblich von diesem Modell. Sie erhalten praktisch eine effiziente All-in-One-Lösung, die ihnen in vielerlei Hinsicht Vorteile bietet.
transkript. In welchem Verhältnis etwa führen Sie am IKF akademische und von der Pharmaindustrie gesponsorte klinische Studien durch?
Al-Batran. Am IKF führen wir klinische Studien in einem Verhältnis von etwa 70% akademisch initiierten (investigator-initiated) zu 30% von der Pharmaindustrie gesponserten Studien durch. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass wir auch eine bedeutende dritte Gruppe von Studien durchführen, die im Rahmen unseres sogenannten Collaborative Academic Drug Development (ADCC) Programms stattfinden. Diese Studien sind eine Art Kooperation zwischen der akademischen Forschung und der Pharmaindustrie, bei denen es um die Entwicklung und Zulassung von Medikamenten der Industrie geht.
Diese Studien sind industriell-akademische Hybride; Vertreter der Industrie werden in das Lenkungsgremium dieser Studien integriert. Gleichzeitig übernimmt das IKF die Sponsorrolle und führt die Studien in seinen akademischen Netzwerken durch. Durch diese Art von Studien ermöglichen wir der Industrie, eine parallele Entwicklung ihrer Substanzen neben ihrem eigenen Studienprogramm durchzuführen, was erhebliche Ressourcen und Entwicklungskosten einsparen kann.
Das IKF plant, dieses flexible Modell weiterhin stark auszubauen, da wir davon überzeugt sind, dass es die Entwicklung innovativer Krebsmedikamente optimieren und beschleunigen wird. Besonders motiviert uns hier die Aussicht, dass unsere Partner durch unseren Beitrag ihre Medikamente auch in Indikationen zur Zulassung bringen könnten, die sonst nicht im Fokus der Pharmapartner stehen würden und wir somit dazu beitragen können, sogenannte unmet clinical needs bedienen zu können.
transkript. Kann ein Zentrum wie das IKF gerade bei den vielen innovativen Therapieansätzen in der Onkologie „mithalten“?
Al-Batran. Das IKF kann nicht nur mit den vielen innovativen Therapieansätzen in der Onkologie mithalten, wie zum Beispiel CAR-T, Gen- und Zelltherapie, mRNA-Therapie und vielfältige Kombinationen davon, sondern diese neuen therapeutischen Ansätze bilden sogar einen Schwerpunkt unserer Tätigkeit. Derzeit führen wir zahlreiche immuntherapeutische Studien durch, darunter Immun-Checkpoint-Inhibitoren, mRNA- und immunzelltherapeutische Studien.
So ist das IKF beispielsweise Sponsor der sogenannten INSIGHT-Phase-I- Plattform-Studie, in der ein neuartiges Immuntherapeutikum mit verschiedenen anderen Therapeutika, wie zum Beispiel Chemotherapien und Checkpointinhibitoren kombiniert wird. Jede Kombination bildet dabei einen neuen Arm der Studie. Aktuell verfügt die Studie über fünf Arme, das heißt, fünf unterschiedliche innovative Immuntherapie-Kombinationen werden innerhalb einer Studie untersucht. Zudem werden in den Armen teils unterschiedliche Tumorarten behandelt. Es handelt sich somit um eine hochkomplexe Plattformstudie, die eine schnelle Identifikation vielversprechender Therapieansätze zulässt, die anschließend in größeren Studien weiter evaluiert werden können. In naher Zukunft möchten wir die Studie natürlich weiter ausweiten.
Im Bereich der ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products) unterstützt das IKF einen Partner, der Immunzell-basierte Therapien entwickelt bei der Validierung seines Herstellungsprozesses sowie der geplanten First-In-Men Erprobung seiner Zellpräparationen. Hierbei werden aus Tumorgewebe, das Krebspatienten im Rahmen von chirurgischen Eingriffen oder Biopsien entnommen wurde, Immunzellen (sogenannte Tumor-infiltrierende Lymphozyten) isoliert, in einem speziellen Kultivierungsprozess angereichert und dem Patienten per Infusion wieder verabreicht. Ziel ist es, dass diese angereicherten, körpereigenen Immunzellen in den Tumor des Patienten einwandern und das Wachstum des Tumors stoppen oder im besten Fall den Tumor schrumpfen lassen.
Darüber hinaus hat das IKF ein einzigartiges Netzwerk namens PLATON Network aufgebaut, an dem inzwischen etwa 150 Kliniken beteiligt sind. Dieses Netzwerk dient dazu, Patienten mit seltenen Biomarkern zu identifizieren und für klinische Studien zu gewinnen. Dadurch sind wir in der Lage, innovative Therapieansätze voranzutreiben und die Forschung im Bereich der Onkologie weiter zu fördern. Zusammenarbeit mit anderen Zentren ist jedoch in diesem hochspezialisierten Bereich immer sinnvoll und gegeben, um das Wissen und die Ressourcen zu teilen und gemeinsam Fortschritte zu erzielen.
transkript. Können Sie Beispiele nennen, in denen Ihr Ansatz der Forschungskollaboration Früchte trägt und Verbesserungen für die Patienten erbrachte?
Al-Batran. Wir sind äußerst stolz darauf, durch unsere eigenen Studien die Standardtherapie für Speiseröhren- und Magenkrebs weltweit maßgeblich beeinflusst zu haben, wie beispielsweise in Veröffentlichungen in Lancet von 2019 und im Journal of Clinical Oncology von 2023 dokumentiert ist. Aktuell führt das IKF insgesamt 15 Phase III-Studien durch, was unsere kontinuierliche Verpflichtung zur Weiterentwicklung der Krebsbehandlung und zur Förderung von Innovationen in der medizinischen Forschung unterstreicht.
transkript. Was wünschen Sie sich für den Studienstandort Deutschland, was für das IKF?
Al-Batran. Ich habe viele Wünsche für den Studienstandort Deutschland, die auch für das IKF von großem Nutzen wären. Ich wünsche mir in erster Linie eine Vereinfachung der Zulassungsprozesse für klinische Studien, idealerweise auf europäischer Ebene. Sowohl der Staat als auch private Akteure wie Stiftungen sollten erheblich mehr Geld in akademische Studien investieren und junge Biotech-Unternehmen stärker fördern. Die pharmazeutische Industrie sollte verstärkt auf Arzt-initiierte Studien setzen. Derzeit testet die Industrie aus Ressourcengründen ihre Substanzen innerhalb eines sehr engen Rahmens. Dadurch bleibt das volle Potential innovativer Medikamente oft ungenutzt. Genau hier versucht das IKF einen Unterschied zu machen. Eine solche Unterstützung und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren würde die Forschung und Entwicklung neuer Therapieansätze beschleunigen und die Chancen auf Fortschritte in der Krebsbehandlung erheblich erhöhen.
Das Interview erschien in der |transkript-Ausgabe 1/2024.